Bedeutung von Vorläuferfähigkeiten zum Erwerb mathematischer Kompetenzen

In unseren letzten Beiträgen der Reihe „Dyskalkulie“ haben wir uns zunächst mit der Definition des Begriffes befasst und herausgestellt, anhand welcher Symptome eine Dyskalkulie zu erkennen ist. In unserem dritten Beitrag zu der Frage, wie Sie als Lehrkraft Kindern mit Rechenschwierigkeiten helfen können, wurde deutlich, dass Kinder mit einer Rechenschwäche u.a. dadurch auffallen, dass sie Probleme beim Zahlenaufbau und den Grundrechenarten haben. Sehr häufig fehlt ihnen das Mengenverständnis und sie haben keine tragfähigen Lösungsstrategien für komplexere Aufgaben oder fehlerhafte Hypothesen zur Lösungsfindung.

Hier wird bereits deutlich, welche elementare Bedeutung dem Erwerb von mathematischen Vorläuferfähigkeiten zukommt.

Svenja Rausch, eine unserer Dyskalkulie-Lerntherapeutinnen hat im Rahmen ihres Studiums einen Beitrag zu diesem Thema verfasst und uns diesen hier zur Verfügung gestellt.

Warum sind Vorläuferfertigkeiten wichtig für den Lernprozess in Mathematik?

Um zu verstehen, welche Voraussetzungen wichtig für den mathematischen Lernprozess des Kindes sind, ist es zunächst wichtig das aktuelle mathematische Verständnis des Kindes zu erfassen. Viele denken bei dem klassischen Matheunterricht direkt an Zahlen, Grundrechenarten oder Gleichungen.

Mathematik lässt sich jedoch aus dem Griechischen wie folgt ableiten:

mathethos = lernbar; mathema = Lernen, Gelerntes, Erkenntnis, Kenntnis

„Mathematik ist also die ‚Lernkunst‘, sie beschäftigt sich mit den Mustern und Strukturen unserer Lebenswelt.“ (Naumann-Kipper 2006)

Mathematik bedeutet demnach nicht (allein) den Umgang mit Zahlen, sondern vielmehr Strukturen zu untersuchen, in denen Muster erkannt werden. Durch diese Mustererkennung wird die mathematische Entwicklung gefördert. Erst wenn einfache Strukturen und sogenannte pränumerische Kompetenzen entwickelt sind, fällt es den Kindern leichter, komplexe mathematische Strukturen zu erfassen.

Als pränumerischer Bereich wird der vorzahlige Bereich in der Mathematik bezeichnet, der in der Schule oft ausgeklammert wird. Gerade bei Kindern mit Lernschwierigkeiten sollte allerdings bereits hier die Förderung ansetzen.

Carin De Vries formuliert 12 Stufen des pränumerischen Bereichs, den sie als Fundament für weitere mathematische Entwicklungen ansieht (De Vries 2008). Im Folgenden soll die Bedeutung von pränumerischen Kompetenzen an zwei Beispielen deutlich gemacht werden.

Vorläuferfähigkeiten einüben: Reihen bilden

Reihen bilden kann als grundlegend für das spätere Erlernen der Zahlwortreihe angesehen werden. Es ist grundlegend für das Verständnis, die Zahl als aufsteigende Zahlenreihe zu verinnerlichen. Begriffe wie Vorgänger und Nachfolger sind ohne ein Reihenverständnis nur schwer zu erfassen. Mit verschiedenen Übungen wird dadurch der Ordinalzahlaspekt trainiert.

Übungen:

  • Bewegungen nach der Reihe nachmachen
  • Wie ziehe ich mich morgens an?
  • Gegenstände nach der Größe sortieren usw.

Vorläuferfähigkeiten einüben: Stück-zu-Stück-Zuordnungen

Zuordnungsprozesse sind bedeutsam, um die Zuordnung Zahl-Menge zu begreifen (Eindeutigkeitsprinzip).

Übungen:

  • Ein Babytier dem Muttertier zuordnen
  • den Tisch decken (Platzsets, Messer, Gabel usw. für jede Person zuordnen)

Studien zeigen, dass Kinder schon sehr früh numerische Kompetenzen besitzen (Elisabeth Moser Opitz). Je nach Lernstand und Sozialisation der Kinder können diese deshalb sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Deshalb kann es sinnvoll sein, mit der mathematischen Förderung zu beginnen und den Umgang mit Zahlen erst einmal zurückzustellen.

Weiterführende Informationen

Wenn Sie sich in Ihrer Schule näher mit dem Thema Dyskalkulie und Rechenschwäche auseinandersetzen möchten, bietet sich zum Einstieg unser regelmäßig stattfindendes Seminar „Basiswissen Dyskalkulie“ an. Module zur Diagnostik und Förderung können aufbauend gebucht werden.

Empfehlenswert ist auch die Handreichung des österreichischen Bildungsministeriums, die gut auf das deutsche Schulsystem übertragbar ist: http://www.schulpsychologie.at/fileadmin/upload/lernen_leistung/Dyskalkulie/rechenschwaeche.PDF.

Literatur:

Naumann-Kipper, P. (2006). 3,2,1 – viele, wenig, keins. Zahlen, Mengen & Muster entdecken. Freiburg Herder. S. 7-114

De Vries, Carin (2008). Mathematikunterricht an Schulen für geistige Behinderung. In: Sonderpädagogik der geistigen Entwicklung. Nußbeck, Susanne; Biermann, Adrienne; Adam, Heidemarie. Kempten: AZ Druck S. 547-560

Für Interessierte:

Kleppek, Marlene (2015). Anfangsunterricht – Aspekte der frühen mathematischen Bildung. Wie die Schulanfängerinnen und – Anfänger eine positive Haltung zur Mathematik erlernen können. In: Grundschulunterricht. Mathematik Vol. 62, Heft 4, S. 4-7